Typische Mängel bei Leitungsverlegung und Schaltanlagen

14.04.2023 00:01 Uhr

In diesem Beitrag sollen weitere Beispiele besonders ausgefallener Praxisfälle dargestellt und nach den normativen bzw. technischen Grundsätzen und Bewertungsmaßstäben kommentiert werden. Diese Fälle betreffen den kompletten Bereich der Energietechnik.

Bei der Überprüfung einer elektrischen Anlage nach VdS 2871 (Revision der elektrischen Licht- und Kraftanlagen) gibt es folgende Grundsätze. Im Abschnitt 1 ist zu lesen: »Die Prüfung elektrischer Anlagen nach Klausel SK 3602 erfolgt auf Grundlage einer Vereinbarung im Versicherungsvertrag. Dabei wird unterstellt, dass der Versicherungsnehmer sämtliche aus rechtlichen Grundlagen herrührenden Verpflichtungen, insbesondere die Veranlassung der erforderlichen Prüfungen, erfüllt. Ziel der im nachfolgenden beschriebenen Prüfung der elektrischen Anlage ist es sicherzustellen, dass den besonderen Anforderungen des Versicherers an den Sachschutz Rechnung getragen wird. Die Prüfung elektrischer Anlagen nach Klausel SK 3602 entbindet den Versicherungsnehmer nicht von der Prüfpflicht aufgrund anderer Normen, technischer Regelwerke oder Gesetze

Weiterhin gibt es im Abschnitt 2 den Hinweis: »Grundsätzlich ist nur der versicherte Umfang nach Vorgaben des Versicherers zu prüfen. Liegen dem Sachverständigen keine anderslautenden Informationen vor, so ist der gesamte Risikostandort zu prüfen. Die Prüfung besteht aus Besichtigungen, Funktionsprüfungen und Messungen sowie Ordnungsprüfungen gemäß Abschnitt 2.5 dieser Richtlinien

Schilderung des Sachverhalts und der Vorgehensweise

Im Rahmen einer Sachverständigenüberprüfung nach den Vorgaben der VDS 2871 (Revision der elektrischen Licht und Kraftanlagen), die vom Anlagenbetreiber bei mir bezüglich der Vorgabe der Gebäudeversicherung beauftragt wurde, sind die nachfolgend aufgeführten Abweichungen von den allgemein ankerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) bzw. der Herstellervorgaben aufgefallen.

Die Schilderungen sind auszugsweise und mittels Bildern belegt. Es werden hauptsächlich die vorhandenen Abweichungen von den a.a.R.d.T. bzw. der Herstellervorgaben mit der zugehörigen normativen Herleitung und technischen Erläuterung gezeigt.

Die Situationen selbst fand ich im Rahmen der Anlagenüberprüfung nach der schon erwähnten VDS 2871 vor. Sie wurden von mir gutachterlich bewertet und im Rahmen des Befundscheines nach VDS 2229 dokumentiert. Dem Anwender sollen hierdurch wichtige Hinweise und Anregungen gegeben werden, um bei der Planung, Errichtung, Instandhaltung und Überprüfung elektrischer Anlagen typische Problemstellungen erkennen bzw. vermeiden zu können. Alle nachfolgenden Praxisfälle werden hinsichtlich der Bewertungsansätze sowie der Mängelbeseitigung durch den Anlagenbetreiber besprochen.

1. Mangelhafte Leitungsverlegung

Bewertungsansätze

In der zutreffenden Norm DIN VDE 0100-520:2013-05 steht im Abschnitt 522.6.1: »Kabel- und Leitungsanlagen sind so auszuwählen und zu errichten, dass der Schaden, der durch mechanische Beanspruchung, z. B. durch Schlag, Eindringen oder Druck während Errichtung, Nutzung oder Instandhaltung verursacht wird, auf ein Minimum reduziert wird

Mängelbeseitigung

In diesem Fall (Bild 1) wurden nach der Mängeldokumentation die Zuleitung erneuert und ein mechanischer Schutz bzw. eine fachgerechte Leitungsdurchführung realisiert.

© F. Ziegler

2. Zu geringer Biegeradius

Bewertungsansätze

In diesem Beispiel war der Biegeradius zu gering (Bild 2) und die Leitung mechanisch verformt. Dadurch wurde die Isolation nachhaltig geschädigt. Auch hier ist wieder die Norm DIN VDE 0100-520:2013-05 zutreffend. Im Abschnitt 522.6.1 ist zu lesen: »Der Biegeradius muss so gewählt werden, dass Leiter oder Kabel und Leitungen nicht beschädigt werden und Anschlüsse nicht übermäßig beansprucht werden.« Der Abschnitt 522.8.3 ergänzt: »Kabel- und Leitungsanlagen sind so auszuwählen und zu errichten, dass der Schaden, der durch mechanische Beanspruchung, z. B. durch Schlag, Eindringen oder Druck während Errichtung, Nutzung oder Instandhaltung verursacht wird, auf ein Minimum reduziert wird

Mängelbeseitigung

Nach der von mir erstellten Mängeldokumentation wurde die betroffenen Funktionserhalt-Leitung erneuert und die Leitungsverlegung fachgerecht angepasst.

© F. Ziegler

3. Überalterte Schaltanlage

Bewertungsansätze

Die zahlreichen Mängel und technischen Unzulänglichkeiten dieser überalterten Anlage (Bild 3) machten eine zeitnahe/unverzügliche Mängelbeseitigung bzw. Anpassung/Erneuung notwendig. Hier wurde im Befundschein (Dokumentation der Überprüfung der elektrischen Anlage nach VDS 2871) eine zusätzliche Kennzeichnung des Mangelpunktes mit x/o als Mängel mit akuter Brandgefahr / Personengefahr eingefügt.

Mängelbeseitigung

Die Schaltanlage wurde nach der Mängeldokumentation zeitnah komplett erneuert.

© F. Ziegler

4. Nicht eingehaltener Berührungsschutz

Bewertungsansätze

Hier (Bild 4) wurden von mir zwei VDE-Normen zur Bewertung herangezogen. Zum einen war das die DIN VDE 0100-410:2018-10 mit dem Abschnitt 413.12 bzw. Anhang A Abschnitt A.2.1(Schutzmaßnahmen gegen elek-trischen Schlag) und zum anderen die DIN VDE 0660-600-3:2013-02 mit dem Abschnitt 8.2.2.

Zunächst der Auszug aus VDE 0100-410: »Aktive Teile müssen im Inneren von Umhüllungen oder hinter Abdeckungen sein, die mindestens der Schutzart IPXXB oder IP2X entsprechen, ausgenommen die Fälle, wo während des Auswechselns von Teilen größere Öffnungen entstehen, wie z. B. bei Lampenfassungen oder Sicherungen, oder wo größere Öffnungen notwendig sind, um den ordnungsgemäßen Betrieb des Betriebsmittels entsprechend den zutreffenden Anforderungen für das Betriebsmittel zu ermöglichen

Dem Problem mit der Schutzart nimmt sich auch die DIN VDE 0660-600-3 an. Hier wird für Verteiler, die zur Bedienung von Laien vorgesehen sind, die Schutzart IP2XC gefordert (Zugang zu gefährlichen Teilen mit einem Werkzeug ≥ 2,5 mm darf nicht möglich sein).

© F. Ziegler

5. Thermisch geschädigte PV-Module

© F. Ziegler

Bewertungsansätze

Im Rahmen der Überprüfung der PV-Anlagen nach den Prüfvorgaben der VDS 2871 wurden diese thermische Schädigung (Bild 5) an einem PV-Modul festgestellt. Hinweis: Hier wurde nur eine thermische Schädigung
exemplarisch dargestellt.

Mängelbeseitigung

In diesem Fall wurden nach der Mängeldokumentation der Austausch der betroffenen PV-Module und eine Anpassung der PV-Anlage an die normativen Vorgaben der aktuellen DIN VDE 0100-712:2016-10 in Bezug auf dem im Abschnitt 712.430 aufgeführten Grundsätzen des »Schutzes gegen Überstrom« ausgeführt.

Grundsätzliche normative Bewertungsmaßstäbe

Für die umgesetzte Überprüfung der elektrischen Anlage, im Rahmen einer Revision der elektrischen Licht- und Kraftanlagen nach den Vorgaben der VDS 2871, lagen nachfolgende Normen und Regeln als Bewertungsmaßstab zugrunde: DIN VDE 0100-410, DIN VDE 0100-430, DIN VDE 0100-510, DIN VDE 0100-520, DIN VDE 0100-540, DIN VDE 0100-712, DIN VDE 0105-100, VDS 2871 sowie DIN VDE 0660-600-1 und -3. Die Mängeldokumentation und die Bewertung des Anlagenzustandes erfolgte in einer nach den Vorgaben der deutschen Versicherungswirtschaft erstellten Dokumentationsvorlage, die in VDS 2229 aufgeführt ist.

Fazit

Der Beitrag zeigte erweiterte Betrachtungen und fachlich spezielle Anwendungsfälle mit den entsprechenden Kommentaren auf. Damit sollte immer der erforderliche »Brückenschlag« zu den normativen Vorgaben und Anforderungen gewährleistet sein, um dem Anwender auch eine konkrete Umsetzung in der Praxis zu ermöglichen.

QUELLE:

de – das elektrohandwerk

AUTOR:

Frank Ziegler, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der HWK Stuttgart für das Elektrotechniker-Handwerk und VdS-Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen