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Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten

Beziehung zwischen Bauordnungsrecht, Arbeitsschutzrecht und Normen

10.02.2023

Die Relevanz von Bauordnungsrecht, Arbeitsschutzrecht und Normen bei dem Bau von als Arbeitsstätten genutzten baulichen Anlagen ist immer wieder ein Thema von Diskussionen. Die Gründe sind Unsicherheit und auch zum Teil Unwissenheit über den Zusammenhang zwischen diesen Vorschriften. Als Folge dessen finden die Forderungen des Arbeitsschutzrechtes nicht immer ausreichend Beachtung.

Inhaltsverzeichnis und Quicklinks

Eine Orientierung über das Zusammenwirken von Bauordnungsrecht, Arbeitsschutzrecht und Normen bietet dieser Beitrag. 

Bauliche Anlagen und Arbeits­stätten

Nach dem Bauordnungsrecht versteht man unter baulichen Anlagen aus Bauprodukten erstellte, überdeckte und nicht überdeckte Anlagen. Diese können von Beschäftigten, Nicht-Beschäftigten (z. B. Bewohner, Besucher, Kunden, Schüler / Studenten, Betreute, Patienten und Klienten) oder gemeinsam von beiden genutzt werden (Tabelle 1). Alle nur von Beschäftigten oder gemeinsam von Beschäftigten und Nicht-Beschäftigten genutzten baulichen Anlagen oder Teile von diesen sind nach dem Arbeitsschutzrecht Arbeitsstätten. Zu einer Arbeitsstätte zählen Orte in überdeckten und nicht überdeckten baulichen Anlagen zur Nutzung als Arbeitsplätze sowie alle im Rahmen der Arbeit zugänglichen Orte, wie Verkehrswege. Auch alle für das Betreiben einer Arbeitsstätte erforderlichen Einrichtungen sind Teil der Arbeitsstätte. Einzelne Forderungen für das Einrichten einer Arbeitsstätte hängen von den konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätzen und Bereichen ab. 

Der Unterschied zwischen Errichten und Einrichten

Ein Unterschied zwischen baulichen Anlagen und Arbeitsstätten besteht darin, dass bauliche Anlagen errichtet und Arbeitsstätten eingerichtet werden. Beide Prozesse, also das Errichten einer baulichen Anlage und das Einrichten einer Arbeitsstätte, können abhängig oder unabhängig voneinander verlaufen.

Beispiel 1: Ein Unternehmen baut drei neue Lagerhallen, Lagerhalle 1 zur eigenen Nutzung, Lagerhalle 2 und 3 zur fremden Nutzung durch Vermietung. Lagerhalle 2 wird vor Beginn der Bauarbeiten vermietet, Lagerhalle 3 nach dem Beenden der Bauarbeiten. Aus dieser Situation resultieren drei Konstellationen:

Lagerhalle 1 und Lagerhalle 2: Während der Bauphase sind alle konkreten Orte und alle konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Bereiche bekannt. Das Errichten der baulichen Anlage und das Einrichten der Arbeitsstätte werden parallel durchgeführt, also zeitgleich.  

Lagerhalle 3: Während der Bauphase sind keine konkreten Orte und keine konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Bereiche bekannt. Das Errichten der baulichen Anlage und das Einrichten der Arbeitsstätte können nicht parallel durchgeführt werden, also nicht zeitgleich.  

Und ein weiterer Aspekt wird deutlich: Bauherr und Arbeitgeber sind im Fall der Lagerhalle 1 eine juristische Person und im Fall der Lagerhallen 2 und 3 zwei verschiedene juristische Personen. 

 

Bauordnung und Arbeitsstätten­verordnung

Basis für das Bauordnungsrecht ist die ­Bauordnung (BO) und für das Arbeitsschutzrecht die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Erstere ist Landesrecht und zweitere Bundesrecht. Die Bauordnung wird ergänzt durch Verordnungen oder Richt­linien für Sonderbauten. Weitere Unterschiede finden sich in der Anwendung, den Anforderungen und den Verantwortlichen der Vorschriften. 

 

Bauordnung

  • Anwendung: Errichten von baulichen Anlagen und deren Instandhaltung einschließlich baulicher Veränderungen
  • Anforderung: Schutz der Ordnung, Sicher­heit und Gesundheit der Öffentlichkeit
  • Verantwortliche: Bauherr, Bauleiter, Planer, Unternehmer

 

Arbeitsstättenverordnung

  • Anwendung: Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten und deren Instandhaltung einschließlich baulicher Veränderungen
  • Anforderung: Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten
  • Verantwortung: Arbeitgeber

Mittels Genehmigung durch die zuständigen Behörden sind Abweichungen von der Bauordnung (MBO § 67) bzw. Ausnahmen von der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV § 3a, Abs. 3) möglich.

Beide Vorschriften gelten nebeneinander. Im Falle von Kollisionen durch unterschiedliche Forderungen in der Bauordnung und der Arbeitsstättenverordnung ist die weitergehende Vorschrift vorrangig anzuwenden (ArbStättV § 3a Abs.4).

Unterschiedlich ist die Erfordernis einer Genehmigung. Ein Genehmigungsverfahren existiert im Bauordnungsrecht, aber nicht im Arbeitsschutzrecht. Auch eine Verknüpfung von Bauordnung und Arbeitsstättenverordnung existiert nicht. Die Arbeitsstätten­verordnung ist im Sinne der Bauordnung keine zu prüfende öffentlich-rechtliche ­Vorschrift (MBO § 63 S. 1 Nr. 3 und § 64 S.1 Nr. 3).

Hinweis: In der Praxis wird abhängig von dem einzelnen Bundesland im Baugenehmigungsverfahren eine Prüfung der Arbeitsstättenverordnung zum Teil mit einbezogen, zum Teil nicht mit einbezogen oder nur auf Antrag des Bauherren mit einbezogen.  

 

Technische Baubestimmungen und Technische Regeln für Arbeitsstätten

Unterhalb der Bauordnung und Arbeitsstättenverordnung konkretisieren Technische Baubestimmungen (TB) und Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) die Umsetzung der Vorschriften. Technische Baubestimmungen müssen angewendet werden (MBO § 85a Abs. 1) und Technische Regeln für Arbeitsstätten können angewendet werden (ArbStättV § 3a Abs.1 Satz 2).

Grundsätzlich verlangt die Arbeitsstättenverordnung für die Konkretisierung von Maßnahmen zur Einhaltung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes von Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber (ArbStättV § 3). Diese ist vor dem Einrichten einer Arbeitsstätte und bei Änderungen im Betreiben einer Arbeitsstätte durchzuführen. In der Gefährdungsbeurteilung kann der Arbeitgeber die in den ASR geforderten Maßnahmen oder andere Maßnahmen anwenden. Letztere müssen den gleichen Schutz wie die Maßnahmen in den ASR erzielen. Bei Anwendung der ASR ist von einer Einhaltung der Forderungen der ArbStättV auszugehen.      

 

Europäische Bauprodukten­verordnung

Ziel der europäischen Bauproduktenverordnung (305/2011/EU) ist das Schaffen von sicheren Bauwerken durch Bauprodukte. Dazu zählt auch der Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern bei der Errichtung und Nutzung von Bauwerken (Anhang I, Abs. 3 Satz 1). Alle grundsätzlichen Forderungen an Bauwerke sind im Anhang I der Bauproduktenverordnung zusammengefasst. Die Bauordnung verlangt bei der Errichtung und Änderung von Bauwerken die Einhaltung der grundsätzlichen Forderungen an Bauwerke im Anhang I der Bauproduktenverordnung (MBO § 3). Die gleichen oder sich gegenseitig ergänzende grundsätzliche Forderungen sind im Anhang der Arbeitsstättenverordnung zusammengefasst (ArbStättVO Anhang).

 

Anwendung von Normen

Die Anwendung von Normen ist grundsätzlich unverbindlich. Verbindlich wird sie nur im Zusammenhang mit Verträgen oder Gesetzen und Verordnungen. Ohne diesen Zusammenhang stellt die Anwendung von Normen aber eine gewisse Rechtssicherheit für Fachplaner und Fachunternehmer in juristischen Streitfällen dar. Gerichte ziehen in solchen juristischen Streitfällen oft Normen zur Beurteilung von Gewährleistungs- und Haftungsansprüchen heran. 

Ein weiterer Aspekt ist das Verhältnis von den Normen zu den Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherer im Zusammenhang mit dem betrieblichen Arbeitsschutz. Zu diesem Aspekt hat das Bundes­ministerium für Arbeit und Soziales ein Dokument veröffentlicht (BMAS Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz vom 12.2.2021). Grundsätzlich haben im betrieblichen Arbeitsschutz die Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherer Vorrang vor den Normen. Normen können aber für die Erstellung und Anwendung der Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherer eine hilfreiche Information sein. Meistens wird in einer Norm und einer Technischen Regel für Arbeitsstätten auch darauf hingewiesen.

Beispiel 2: Für die Beleuchtung von Arbeitsstätten existieren die Normen DIN EN 12464-1 und DIN EN 12464-2 »Beleuchtung von Arbeitsstätten« und die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A3.4 »Beleuchtung«. Für die Beleuchtung von Arbeitsstätten ist die ASR A3.4 anzuwenden, und nicht die DIN EN 12464-1 und DIN EN 12464-2. Zwischen beiden Vorschriften gibt es Unterschiede bei einzelnen Forderungen. Die in der ASR A3.4 geforderten Maßnahmen sind zum Teil größer und zum Teil kleiner.

Bei der Lagerhalle 1 (Beispiel 1) sind Bauherr und Arbeitgeber dieselbe juristische Person. Die Beleuchtung muss nach der ASR A3.4 ausgeführt werden.

Bei der Lagerhalle 2 und der Lagerhalle 3 (Beispiel 2) sind Bauherr und Arbeitgeber nicht dieselbe juristische Person. Die konkreten Orte und konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Bereiche sind im Fall der Lagerhalle bekannt und im Fall der Lagerhalle 3 nicht bekannt.

Der Bauherr kann bei beiden Lagerhallen die Beleuchtung als raumbezogene Beleuchtung unter Einhaltung der Mindestforderungen nach der DIN EN 12464-1 ausführen. Die Arbeitgeber müssen ggf. auf der Basis der konkreten Orte und konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Bereiche die Beleuchtung beim Einrichten der Arbeitsstätte an die Forderungen der ASR A3.4 anpassen. Alternativ ist im Fall der Lagerhalle 2 auch eine Verständigung zwischen Bauherr und Arbeitgeber auf Ausführung der Beleuchtung auf der Basis der konkreten Orte und konkreten Tätigkeiten, Arbeitsplätze und Bereiche möglich.

Bauordnung, Sonderbauverordnung und Sonderbaurichtlinien

Zu der Bauordnung, den Sonderbauverordnungen und Sonderbaurichtlinien existieren von der Bauministerkonferenz erarbeitete Muster. Diese können von den Ländern unverändert oder verändert in das Bauordnungsrecht übernommen werden. Im Einzelfall ist die jeweils gültige Bauordnung, Sonderbauverordnung oder Sonderbaurichtlinie des Landes zu ermitteln.

Fazit

  • Für die Praxis von Arbeitsstätten ergeben sich folgende Schlussfolgerungen (Bild 1 bis 3):
  • Das Bauordnungsrecht und Arbeitsschutzrecht unterscheiden sich in der Anwendung und Verantwortung.
  • Die Arbeitsstättenverordnung enthält zum Teil baurechtsrelevante und zum Teil baurelevante Forderungen.
  • Bei baurechtsrelevanten Forderungen sind vom Bauherr und Arbeitgeber die weitergehenden Maßnahmen anzuwenden.
  • Bei baurelevanten Forderungen sollten sich Bauherr und Arbeitgeber über die Maßnahmen verständigen.
  • Im Fall von nachträglichen baulichen Veränderungen in einer Arbeitsstätte sind das Bauordnungsrecht und das Arbeitsschutzrecht anzuwenden.
  • Im Fall von nachträglichen Veränderungen bei dem Einrichten und Betreiben einer Arbeitsstätte ist das Arbeitsschutzrecht anzuwenden.
  • Im betrieblichen Arbeitsschutz sind die Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherer vorrangig anzuwenden.

Für Schnellleser

Bei der Errichtung von baulichen Anlagen, die als Arbeitsstätten genutzt werden, muss man unterscheiden zwischen Bauordnungsrecht, Arbeitsschutzrecht und Normen

Im betrieblichen Arbeitsschutz haben die Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherer Vorrang vor den Normen

Literatur

[1] Musterbauordnung (09/2020)
[2] Arbeitsstättenverordnung (12/2020)
[3] Bauproduktenverordnung 305/2011/EU
[4]Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Rechtsgutachten zum Zusammenwirken von Arbeitsstättenrecht und Bauordnungsrecht (1. Auflage 2018)
[5] Bundesministerium für Arbeit und So­ziales: Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz (02/2021)

 

 

QUELLE:

de – das elektrohandwerk

AUTOR:

Dipl.-Ing. Rainer Langer