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Faktencheck vom Normungsexperten

Bewertung der geläufigen Behauptungen von Befürwortern steckerfertiger Kleinst-Photovoltaik-Anlagen

Regenerative Energien
04.07.2022

PV-Anlagen können bekanntermaßen im Rahmen der Energiewende einen bedeutenden Beitrag zum notwendigen Umbau der elektrischen Energieversorgung leisten. Aktuell werden Kleinst-PV-Anlagen, die über Steckeranschluss an vorhandene Stromkreise angeschlossen werden, als einfache Möglichkeit für Wohnungsnutzer – also Eigentümer oder Mieter – der Beteiligung an einer PV-Netzeinspeisung propagiert.

Inhaltsverzeichnis und Quicklinks

Aber auch diese sogenannten Balkonkraftwerke müssen die notwendige technische Sicherheit bieten und den regulatorischen Rahmenbedingungen entsprechen. Es ist festzustellen, dass es bei der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesen steckerfertigen Kleinst-PV-Anlagen immer wieder zu umstrittenen Aussagen  bzw. Behauptungen kommt. Diese bedürfen einer sachorientierten Bewertung und – wo erforderlich – einer Richtigstellung.

 

Behauptung 1 zu Haushaltssteckern

Sie lautet: »Die Einspeisung von Kleinst-PV-Anlagen über Haushaltsstecker ist in anderen Ländern zulässig«. Die normative Grundlage für den Anschluss von Erzeugungsanlagen (und damit auch von Kleinst-PV-Anlagen) ist auf europäischer Ebene das Dokument HD 60364-5-551 »Low-voltage electrical installations – Part 5-55: Selection and erection of electrical equipment – Other equipment – Clause 551: Low-voltage generating sets«. Aktuell gültig ist die Ausgabe 2010-02 mit dem Corrigendum 2010-12 und dem Amendment A11 von 2016-05. Hiernach darf eine Erzeugungsanlage ­generell nicht über eine Steckvorrichtung an einen (neu installierten oder bereits vorhanden) Endstromkreis angeschlossen werden. Sie ist in jedem Fall fest anzuschließen. Dies gilt unabhängig von der Ausführung der Steckvorrichtung.

Einzig für Deutschland wurde hierzu eine national abweichende Regelung (siehe DIN VDE V 0100-551-1:2018-05) eingeführt. Hiernach ist es zulässig, eine Erzeugungs­anlage entweder fest oder auch über eine spezielle Energiesteckvorrichtung (z. B. nach DIN VDE V 0628-1) anzuschließen. Auf dieser Grundlage sind 2018 in Deutschland erstmalig die normativen Voraussetzungen zum Anschluss von sogenannten steckerfertigen PV-Anlagen geschaffen worden.

 

Behauptung 2 zum Steckdosenanschluss

Die Behauptung 2 lautet: »Der Anschluss über haushaltsübliche Steckdosen (Schuko) ist gefahrlos möglich«. Bestehende Endstromkreise sind grundsätzlich nicht unter dem Aspekt der »Rückwärts«-Einspeisung geplant und errichtet worden. Der Anschluss von Erzeugungsanlagen an einen Endstromkreis birgt die Gefahr, dass der zusätzliche Strom, der in diesem Stromkreis möglicherweise direkt zu dort angeschlossenen Verbrauchsgeräten geführt wird, nicht von der zugeordneten Schutzeinrichtung in der Verteilung (Sicherung oder Leitungsschutzschalter) berücksichtigt werden kann. Somit ist eine Überlastung dieses Stromkreises nicht ausgeschlossen. Diese Gefahr kann beseitigt werden, wenn die Absicherung im Verteiler unter Berücksichtigung des zu erwartenden zusätzlich eingespeisten Stroms (reduzierter Bemessungsstrom) angepasst wird. Dies erfolgt nach entsprechender Bewertung durch eine Elektrofachkraft. Zusätzlich ist sicherzustellen, dass der eingespeiste Strom diese jetzt geschaffene »Reserve« nicht überschreitet, z. B. durch entsprechende Beschriftung der vorgesehenen Einspeisestelle, z.B.:  »max. Einspeiseleistung ###  Watt«.

Außerdem suggeriert eine Einspeisemöglichkeit über haushaltsübliche Steckdosen dem Laien, dass hier problemlos auch der Anschluss mehrerer Kleinst-PV-Anlagen – möglicherweise an denselben Endstromkreis – zulässig wäre, gemäß dem Motto »was möglich ist, wird auch gemacht«. Schließlich ist man es ja gewohnt, alle Geräte, die über einen haushaltsüblichen Stecker verfügen, unbedarft und ohne Einschränkungen in eine Steckdose einstecken zu können. Ein Hinweis in einer Produktunterlage verhindert dies nicht.

Diese Risiken können ausgeschlossen werden, wenn die Einspeisesteckdose keine haushaltsübliche, sondern eine dafür besonders konstruierte Steckdose ist.

 

Behauptung 3 zur Stromkreisreserve

In der Behauptung 3 wird Folgendes ausgesagt: »Die Stromkreise verfügen über eine Reserve, der zusätzlich eingespeiste Strom kann toleriert werden«. Das kann im Einzelfall stimmen, ist aber nicht zu verallgemeinern. Ein Überlastschutz einer Leitung wird ausgelegt nach den Regeln von DIN VDE 0100-430 (VDE 0100-430) »Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-43: Schutzmaßnahmen – Schutz bei Überstrom«. Danach darf ein Stromkreis, der ursprünglich ohne Anschluss einer Stromerzeugungsanlage geplant wurde, mit einem Betriebsstrom bis zur Höhe der zulässigen Strombelastbarkeit der Leitung dauerhaft bzw. über längere Zeit belastet werden. Ist dies der Fall, ist keinerlei »Reserve« vorhanden, um den zusätzlichen Strom einer Erzeugungsanlage aufzunehmen.

Aus diesem Grund ist der Stromkreis, in den eingespeist werden soll, durch eine Elektrofachkraft diesbezüglich zu prüfen. Die Schutzeinrichtung im Verteiler ist dabei situationsbezogen auszutauschen.

 

Behauptung 4 zum Schutzkontaktstecker

Die Behauptung 4 lautet: »Kleinst-PV-Anlagen mit haushaltsüblichen Steckern (Schukostecker) sind sicher.« Für steckerfertige Kleinst-PV-Anlagen besteht derzeit keine Produktnorm, so dass die Sicherheitsanforderungen und notwendige Prüfnachweise nicht gesamthaft beschrieben sind. Somit fehlt eine umfassende normative Grundlage für EU-Konformitätserklärungen (»CE-Zeichen«) nach allen zutreffenden europäischen Richtlinien, die für das Inverkehrbringen zu berücksichtigen sind.

Die Steckerstifte von haushaltsüblichen Steckern sind berührbar, das Abgreifen einer möglicherweise gefährlichen Spannung ist nicht ausgeschlossen. Ein Verweis auf den sogenannten NA-Schutz, der nach VDE-AR-N 4105 »Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz – Technische Mindestanforderungen für Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz« bei allen Erzeugungsanlagen vorhanden sein muss, ist hier nicht zielführend, da der NA-Schutz keine Maßnahme für den Schutz gegen elektrischen Schlag darstellt, sondern nur die Inselnetzbildung bei bestimmten Netz­zuständen verhindern soll. Der NA-Schutz führt in einer Gefahrensituation nicht zwangsläufig zu einer sicheren Trennung von der gefährlichen Spannung. Eine zweistufige Schutzmaßnahme, wie in den entsprechenden Sicherheitsgrundnormen vorgesehen, kann damit nicht umgesetzt werden.

In VDE-AR-E 2100-550 »Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 550: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Schalter und Steckdosen« von 2019-02 ist gefordert, dass für die Einspeisung elektrischer Energie durch Erzeugungsanlagen in einen Einspeisestromkreis spezielle Energiesteckvorrichtungen (z. B. nach DIN VDE V 0628-1 (VDE V 0628-1)) verwendet werden müssen. Bereits nach der Vorgängernorm war es nicht zulässig, Steckdosen und Stecker im Leitungszug in einer solchen Reihenfolge anzubringen, dass die Steckerstifte in nicht gestecktem Zustand unter Spannung stehen können. Eine weitere allgemein anwendbare Prüfanforderung zum Nachweis der notwendigen Sicherheit existiert nicht.

 

Behauptung 5 zum Energiezähler

Der Behauptung 5 liegen folgende drei Argumente zugrunde: »Ein Austausch des Stromzählers ist nicht notwendig«, »Es wird nicht zurückgespeist« sowie »Der zurückgespeiste Strom soll ja nicht vergütet werden«. Eine Erzeugungsanlage, die innerhalb einer Kundenanlage an das Stromnetz angeschlossen ist, kann grundsätzlich immer in das öffentliche Netz zurückspeisen. Dies wird auch passieren, wenn die erzeugte Energie nicht vollständig in der Kundenanlage verbraucht wird, z. B. während Urlaubsabwesenheit. Insofern ist zu verhindern, dass durch das Zurückspeisen die Messung des Strombezugs aus dem Netz unzulässig beeinflusst wird. Außerdem sind hier auch steuerrechtliche Aspekte zu beachten.

Ein rückwärts laufender Zähler würde Strombezug und Stromeinspeisung saldieren, wodurch faktisch eine Einspeisevergütung erfolgt, die genauso hoch ist wie der Bezugspreis. Dies ist in den zutreffenden Verordnungen nicht vorgesehen.

 

Behauptung 6 zu »Bagatellgrenzen«

Die letzte hier betrachtete Behauptung 6 lautet: »Für den Netzanschluss gelten Bagatellgrenzen«. Weder aus VDE-AR-N 4105 (Anschlussregeln für Niederspannungs-Stromerzeugungsanlagen) noch aus der EU-Verordnung 2016/631 (»RfG«) ist eine Bagatellgrenze ableitbar, die herangezogen werden könnte, um eine Erzeugungsanlage ohne Berücksichtigung der üblichen und relevanten Netzanschlussregeln anzuschließen.

Eine Einführung einer solchen Bagatellgrenze macht keinen Sinn, weil bzgl. der Netzrelevanz immer die Summe aller angeschlossenen Erzeugungsanlagen am Netzverknüpfungspunkt zu betrachten ist. Die einzelne Anlage kleiner Leistung mag weniger relevant sein – bei vermehrtem Betrieb von Kleinst-PV-Anlagen steigt diese Relevanz derart, dass keine Ausnahmen für kleinere Anlagen möglich sind.

 

Fazit

Eine Kleinst-PV-Anlage darf nur über eine Steckvorrichtung an einen Stromkreis angeschlossen werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Die Steckdose ist als spezielle Energieeinspeisesteckdose ausgeführt – haushaltsübliche Steckdosen (z. B. Schuko) sind dafür nicht zulässig. Bei vorhandenen Steckdosen ist ein Austausch durch einen Elektrofachbetrieb erforderlich.
  • Der Einspeisestromkreis ist im Verteiler gekennzeichnet und die Einspeisesteckdose mit dem zulässigen Einspeisestrom beschriftet.
  • Bei einem bereits vorhandenen Stromkreis muss dieser von einem Elektrofachbetrieb geprüft und der für diesen Stromkreis zuständige Leitungsschutzschalter gegen einen mit niedrigerem Bemessungsstrom ausgetauscht worden sein.
  • Es darf nicht mehr als eine derartige Kleinst-PV-Anlage angeschlossen sein.
  • Diese Kleinst-PV-Anlage muss über eine gültige EU-Konformitätserklärung unter Berücksichtigung aller relevanten EU-Richtlinien und einem CE-Zeichen verfügen.

Außerdem ist diese PV-Anlage sowohl beim zuständigen Netzbetreiber als auch im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur anzumelden und der Stromzähler ggf. zu tauschen. Die Anbringung von Kleinst-PV-Anlagen an Hausfassaden und Balkonbrüstungen o.  ä. ist mit dem Haus­eigentümer abzustimmen. Auswirkungen auf bestehende Versicherungen – z. B. Gebäudeversicherung oder Gebäudehaftpflichtversicherung – sind zu prüfen.          

 

QUELLE:

de – das elektrohandwerk

AUTOR:

Dipl.-Ing. Bernd Siedelhofer, Langjähriger Mitarbeiter in verschiedenen DKE-Gremien und bis 2021 Obmann des DKE K221, Heidelberg